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Berlins Ernährung der Zukunft: regional und bio?

Nicht nur mit überwiegend regionalen, sondern sogar regionalen Bio-Lebensmitteln könnte Berlin versorgt werden, so eine Studie des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (Zalf). Könnte – denn gewisse Änderungen im Konsumverhalten sind dafür doch nötig.

von Alexander Wenzel
Themen Landwirtschaft Lebensmittel und Ernährung
26 Juni 2018

Immer mehr VerbraucherInnen entscheiden sich für Obst und Gemüse von Feldern und Äckern aus der Region – regionale Lebensmittel liegen im Trend. Was nicht überrascht, sind diese doch frisch geerntet, dank kürzerer Transportwege klimafreundlicher und lassen sich mit dem Kauf lokale ErzeugerInnen unterstützen.
Inwieweit sich so, also regional, ganze Städte, gar Millionen-Metropolen, selbst versorgen können, wollte Ingo Zasada vom Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (Zalf) in Müncheberg herausfinden. Im Rahmen des Foodmetres genannten europäischen Forschungsprojekts hat der Agrarwissenschaftler dafür zusammen mit KollegInnen aus Großbritannien, Italien und den Niederlanden die vier Metropolregionen London, Berlin, Mailand und Rotterdam untersucht.

Wie im Fachjournal "City, Culture and Society" beschrieben, ermittelte das Team zuerst mithilfe nationaler Statistiken zum Ernährungskonsum, unter Berücksichtigung der Bevölkerungsentwicklung, den Bedarf an Nahrungsmitteln: Es ergab sich bei allen vier Städten ein Wert von rund 1000 Kilogramm pro Person und Jahr. Die Fläche, die notwendig ist, um diesen Bedarf zu produzieren, berechneten die ForscherInnen dann auf Basis der landwirtschaftlichen Produktion in der jeweiligen Region. Berücksichtigt wurden aber auch andere Bedingungen wie zum Beispiel das Klima oder die Qualität der Böden. Mit dem Ergebnis, dass in Berlin und Mailand rund 2000 Quadratmeter an Agrarflächen, in London und Rotterdam etwas weniger, benötigt werden.

Dünn besiedeltes Umland

Mit den gewonnenen Ergebnissen bestimmten die WissenschaftlerInnen im zweiten Schritt, wie viel Fläche insgesamt notwendig ist, um die EinwohnerInnen der vier Regionen zu ernähren. Für die in Berlin und Brandenburg lebenden Menschen ergab sich eine benötigte Agrarfläche von 12.500 Quadratkilometern. Dem gegenüber stehen 14.600 Quadratkilometer an landwirtschaftlicher Nutzfläche zur Verfügung. „Die Metropolregion Berlin, sprich Berlin und Brandenburg, ist in der Lage, sich aus sich selbst heraus zu ernähren“, fasst Zasada das Ergebnis zusammen. Und das obwohl nur die Hälfte der Fläche Brandenburgs für Agrarzwecke genutzt werden kann. Zudem die Böden hier von schlechterer Qualität sind: „Die Hektarerträge sind im Vergleich zu Südengland und Norditalien deutlich geringer, aber es würde trotzdem reichen“, so der Zalf-Wissenschaftler.

Gründe hierfür sind die geringe Siedlungsdichte in Brandenburg und dass sich keine andere Metropolregion im Umland befindet. Faktoren, die in den anderen untersuchten Städten eine regionale Versorgung erheblich erschweren. So zum Beispiel in Rotterdam. Denn in Südholland ist die Bevölkerungsdichte sehr hoch – der Flächenbedarf reicht infolgedessen bis in benachbarte Regionen hinein. Ähnliches gilt für London. Auch hier ist das Selbstversorgungspotenzial gering. Was nicht verwundert, müssen doch 8,2 Millionen Menschen in der Stadt und fast 23 Millionen im Umland ernährt werden. Im Vergleich dazu in Berlin 'nur' 3,5 Millionen sowie weitere 6 Millionen in der Region.

Eine Selbstversorgung mit regionalen Lebensmitteln wäre in Berlin und Brandenburg also möglich. Auch wenn es sich um einen theoretischen Selbstversorgungsgrad handelt, denn hier nicht wachsende Produkte, wie Südfrüchte oder Kaffee, haben die ForscherInnen ebenfalls eingerechnet. Was würde jedoch bei einer Umstellung auf bio passieren? „Der Selbstversorgungsgrad wäre nicht mehr auf 100 Prozent, wenn wir von heute auf morgen umstellen“, so Zasada. Erhöht sich doch aufgrund geringerer Erträge beim ökologischen Landbau der Bedarf an Flächen. Was jedoch durch Müllvermeidung ausgeglichen werden könnte. 17 Prozent der produzierten Nahrungsmittel gehen schon in der Produktions- und Handelskette verloren, weitere 14 Prozent in den Haushalten, stellen die WissenschaftlerInnen in ihrer Studie fest. Insgesamt landet also 31 Prozent der Lebensmittelproduktion in der Mülltonne. „Würden sich die Leute genauso ernähren wie heute, aber weniger wegwerfen, wäre die Umstellung auf bio möglich“, sagt deshalb auch Agrarforscher Zasada.

Bio-regionales Schulessen

Erhebliches Potenzial liegt zudem in den Essgewohnheiten. Denn laut den AutorInnen der Studie beanspruchen tierische Produkte mehr als die Hälfte der zur Nahrungsmittelproduktion benötigten Fläche. Weniger Fleisch, vegetarische oder vegane Ernährungsweisen würden deshalb die Möglichkeit zur regionalen Selbstversorgung erheblich steigern.

Theoretisch möglich wäre sie also, die regionale und ökologische Ernährung Berlins. Dafür öffentlich einzustehen, ist Sache des Ernährungsrat. Dieser setzt sich als zivilgesellschaftliches Bündnis für eine ökologisch nachhaltige, sozial gerechte Nahrungsmittelproduktion und
-verteilung im Raum Berlin ein. Die Zalf-Studie könne das Thema quantifizieren und so eine Grundlage liefern, meint Frank Nadler, einer der Sprecher des Ernährungsrats. Sie sei aber „eine wissenschaftliche Arbeit, die man in die aktuelle Situation transformieren muss, um zu schauen, wie man die Anteile an lokaler und ökologischer Ernährung erhöhen kann“. Vor allem, erläutert Nadler, müsse erst einmal die notwendige Infrastruktur geschaffen werden, damit die Erzeugnisse bäuerlicher Betriebe überhaupt in die Stadt gelangen.

Zeigen, dass dies möglich ist, will der Ernährungsrat mit der „Bio-Regio-Woche“: 80.000 Essen, hergestellt mit Bio-Zutaten aus der Region, sollen in Kooperation mit Schulcaterern von 1. bis 5. Oktober an SchülerInnen in Berlin und Brandenburg ausgegeben werden. Pionierarbeit leiste man damit, so Nadler.

Doch will man eine andere Art von Ernährung, kommt es auf genau solche Projekte an. Was auch Ingo Zasada so sieht: "Initiativen sind wichtig, die den Fokus auf regionale Ernährung setzen.“ In seinem neuen Forschungsprojekt beschäftigt er sich deshalb auch damit, Lösungsansätze zu finden, wie man Regionalisierung stärker voranbringen kann.

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