Nach dem im September 2016 der zweite Wir-haben-es-satt-Kongress zu Ende gegangen ist, auf dem in vielen kleineren Gruppen potentielle Lösungen für die drängenden Fragen der agrarpolitischen Situation diskutiert wurden, ist es nun am 21. Januar wieder Zeit auf die Straße zu gehen und Gesicht zu zeigen. Parallel zur Grünen Woche findet in diesem Jahr zum siebten Mal die Wir-haben-es-satt-Demonstration statt. Agrarminister aus etlichen Ländern finden sich in dieser Zeit in Berlin ein, um am agrarpolitischen Rahmenprogramm der Grünen Woche teilzunehmen. Eine gute Zeit also, um deutlich zu machen, welche Maßnahmen Bauern und Bäuerinnen, Bürger und Bürgerinnen wirklich von der (agrar-)politischen Ausrichtung im Wahljahr 2017 verlangen.
Mit rund 55 Mrd. Euro Subventionen ist die Landwirtschaft der größte Fördermittelposten des EU-Haushalts und entspricht damit 43 % des Gesamthaushalts. Das zu rechtfertigen ist schon seit einigen Jahren und politischen Legislaturen eine Herausforderung. Die Bindung der Subventionen an bestimmte Maßnahmen hat in den 80er Jahren zu massiven Überschüssen geführt, weswegen Regulierungswerkzeuge, wie z.B. die Milchquote oder Marktordnungen eingeführt wurden. Sowohl Subventionen als auch die daraufhin eingeführten Regulierungen schaffen Abhängigkeiten. Können LandwirtInnen nicht mehr zu den vom Markt vorgegebenen Bedingungen wirtschaften, müssen sie aufgeben. Nicht selten überschuldet und perspektivlos. Die EU-Agrarpolitik steht schon seit Jahrzehnten in der Kritik die Landwirtschaft nur einseitig zu fördern. Auf Wachstum, auf Export und auf Technisierung- kurz: auf Industrialisierung.
Schaut man sich die Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) an, wird man den Eindruck nicht los, dass etwas dran sein muss an dieser Kritik. Die Zahl der Erwerbstätigen in der Landwirtschaft ist von 1995 bis 2014 um 25% gesunken (um 215.000 Beschäftigte). Die Landwirtschaft scheint ein Auslaufmodell. Der steigende Anteil der Wertschöpfung aus der Landwirtschaft am Bruttoinlandsprodukt Deutschlands widerspricht dieser Annahme jedoch. So lange die Menschheit sich ernähren muss, wird dies wohl auch noch eine ganze Weile durch die Landwirtschaft passieren. Die Frage ist nur, wie diese aussehen wird und welche versteckten Kosten sich hinter der sich abzeichnenden Effizienzsteigerung verbergen.
Die Zahlen des BMEL belegen, dass die Entwicklung dahin geht, dass es insgesamt weniger Betriebe gibt, die auf größerer Fläche wirtschaften. Das gleiche Bild zeichnet sich in der Tierhaltung ab. Bei den Rindern hält die gleiche Anzahl Betriebe mehr Tiere, bei Schweinen halten mittlerweile weniger Betriebe mehr Tiere. Einige wenige kontrollieren teil- oder vollautomatisierte Prozesse. Das daraus erwirtschaftete Geld fließt zurück in riesige Konzerne. Auf der Strecke bleibt das Wohlergehen der Umwelt und der Tiere. Durch den ungebremsten Einsatz von Stickstoffdüngern oder Gülle wird die gute fachliche Praxis des Humusaufbaus zur Ernährung der Pflanzen vernachlässigt. Die CO2-Fixierungsleistung von industriell bewirtschafteten Böden sinkt. Die Stickstoffüberschüße sickern ins Grundwasser in dessen Folge die Kosten für die Trinkwasseraufbereitung steigen. Einseitige Züchtungen auf Masse und Ertrag bei Pflanzen und Tieren haben einen eingeschränkten Genpool zur Folge. So hat man kaum mehr Möglichkeiten auf neu auftretende Erkrankungen oder Resistenzen zu reagieren. Die Folge ist der steigende Einsatz von Pestiziden und Herbiziden, welcher wiederum dem Boden und dem Grundwasser schadet. Die Gesamtheit der Folgekosten und irreparabler Schäden sind nur zu erahnen.
All diese Entwicklungen sind die direkte Folge der EU-Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte. Es benötigt dringend eine Kursänderung. Nicht erst seit der Milchkrise in 2016, die zahlreiche, vor allen Dingen kleine, Milchbauern zur Aufgabe gezwungen hat, fordern viele LandwirtInnen Maßnahmen zur Rettung der Landwirtschaft. Gefordert wird, dass die regionale, kleinstrukturierte Landwirtschaft erhalten bleibt. Maßnahmen könnten deutschlandweit die Verringerung des Maximalbesatzes in der Tierhaltung sein. Die Novellierung der Düngemittelverordnung ist zwar erfolgt, die konsequente nationale Umsetzung steht immer noch aus. Ganz oben auf der Forderungsliste steht immer noch der Stopp der Freihandelsabkommen CETA und TTIP. Die Märkte dürfen nicht noch weiter liberalisiert werden. Das führe zu Dumpingpreisen, Landgrabbing und der Vernichtung kleinbäuerlichen Strukturen. Nicht nur deutschlandweit, sondern auch global.
Zunächst: einatmen, ausatmen, positionieren, Gesicht zeigen. Die EU-Agrarpolitik sowie die Agrarpolitik Deutschlands müssen den Kurs ändern. Dafür hat die Kampagne Meine Landwirtschaft, ein breites Bündnis aus über 45 Organisationen und damit auch Interessenvertretung vieler LandwirtInnen, gemeinsame Forderungen formuliert und mobilisiert seit nunmehr sieben Jahren bei der Wir-haben-es-satt-Demo zehntausende Menschen in klirrender Kälte vor die Tore der Bundesregierung. Um 8.30 zieht der alljährliche Treckerkonvoi von der Markthalle Neun zum Potsdamer Platz. Um 12 Uhr wird dort die Auftaktkundgebung stattfinden und der Demozug startet, um sich um 14 Uhr vor dem Brandenburger Tor zur Abschlusskundgebung zusammenzufinden. Wer nicht warten kann, kann sich zum Einstimmen und Vernetzen am 20.01. der Schnippeldisko anschließen. Das hier geschnippelte Gemüse wird im Anschluss an die Demo heiß und köstlich verzehrt werden. Das vollständige Programm gibt es hier. Vor allem im Wahljahr 2017 muss den Forderungen mehr Nachdruck verliehen werden, damit sich auf politischer Ebene vielleicht einmal etwas Signifikantes rührt.