Woher kommt das Essen? Welche globalen Machtgefüge steuern die Lebensmittelproduktion? Wie kann ein Umbau der Landwirtschaft gestaltet werden? Auf alle diese Fragen brauchen wir Antworten, um unser Ernährungssystem zukunftsfähig gestalten zu können. Vom 30.September bis zum 3. Oktober wird in der Emmaus-Kirche in Berlin Kreuzberg auf dem Wir-haben-es-satt-Kongress versucht, die drängendsten Fragen zu beantworten. In verschiedenen Arbeitsgruppen sollen Möglichkeiten identifiziert werden, wie die Agrarwende gestaltet werden kann. In Kooperation mit dem Stadt Land Food Festival erwartet die Besucher sowohl ein kulinarisches Erlebnis als auch eine Möglichkeit sich mit ExpertInnen auszutauschen und sich aktiv mit aktuellen Prozessen auseinanderzusetzen.
Strukturwandel
Der Strukturwandel in der Landwirtschaft und dem nachgelagerten verarbeitenden Gewerbe schreitet seit den 1980er Jahren unaufhaltsam voran. So ist es kein Geheimnis, dass kleinbäuerliche Betriebe und traditionelles Handwerk oft durch größere, „wirtschaftlich effizientere“ Unternehmen geschluckt, bzw. verdrängt werden. Wirtschaftlich effizient- das sind Großunternehmen aber nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten Blick wird schnell deutlich, dass die Folgekosten, die Ersparnis weit überschreiten. Zum Einen ist da die Tatsache, dass die Landschaften durch immens große Strukturen einseitig bewirtschaftet werden, von wenigen. Das ist weder besonders umweltverträglich, denn riesige Monokulturen sind erwiesenermaßen weniger krankheitsresistent, brauchen also mehr Spritzmittel. Das laugt den Boden aus, das führt dazu, dass mehr gedüngt werden muss, was den Boden wiederum auszehrt. Ein Teufelskreis. Auch ist es nicht sozial, denn gut ausgebildete Landwirte, die ihr Handwerk verstehen und sich aus Gründen der guten fachlichen Praxis schon nicht in diesen Teufelskreis begeben wollen, werden dazu verdammt ihre Arbeit nach den Regeln der Industrie zu verrichten- oder eben gar nicht mehr. Und Tschüss-Vielen Dank! Wenn überhaupt. Darüber hinaus führen z.B. Patente auf Saatgut oder Nachkommen von Zuchttieren dazu, dass die Landwirte von den Konzernen abhängig werden. Das Saatgut bzw. die modernen Zuchttiere sind so einseitig auf Leistung gekreuzt, dass wichtige Eigenschaften, z.B. Resistenzen gegen Krankheiten nicht mehr im Erbgut vorhanden sind. Saatgut und Spritzmittel gibt es dann von Baysanto im Paket. Wie effizient. Was hinterlassen wir, wenn der Strukturwandel so weitergeht? Nachhaltig ist das nicht. Reflektiert auch nicht.
Die landwirtschaftliche Tretmühle
Den Begriff der „Agricultural Treadmill“ hat der Ökonom Willard Cochrane bereits 1958 geprägt- passe dich den industriellen Gegebenheiten an, oder spiele nicht mehr mit. Was damals noch für den amerikanischen Markt galt, ist heute aktueller und globaler denn je. Die hiesigen Machtgefüge der Industrie über die Landwirte wirken sich in Form von Überproduktion und dem daraus resultierenden „Erschließen neuer Märkte“ aus. Märkte in Entwicklungsländern werden so noch bevor sie sich überhaupt entwickeln können, von außen „gesättigt“. Zu den Preisen, zu denen europäische Produkte z.B. nach Afrika verkauft werden, kann dort niemand produzieren. Der dortige Markt bleibt abhängig, ein Entwicklungsland bleibt ein Entwicklungsland.
Alles halb so wild?
OK, Durchatmen-Was kann man denn jetzt tun? Die Einen sagen es gäbe so etwas wie eine Verbrauchermacht. Dass der Verbraucher entscheiden könne aus welchem Anbau oder aus welcher Tierhaltung das Produkt stammt oder zu welchen sozialen Bedingungen es produziert wurde und so einen Impuls an den Markt gibt- der Markt regelt dann alles weitere. Die Sache mit der Nachfrage und dem Angebot. Das war mal gar nicht so falsch. Denn wenn der Landwirt Einfluss auf den Preis nehmen kann, d. h. mit dem, der es ihm abkauft verhandeln kann, dann kann sich der Markt tatsächlich regulieren. Wenn der Landwirt aber nur noch Dienstleister ist und der Markt die Preise vorgibt, dann schließt sich der Kreis wieder zur Tretmühlentheorie-Wachse oder Weiche! Der Verbraucher kann am Ende vielleicht noch zwischen Industrie oder Industrie 2.0 entscheiden. Wir drehen uns hier im Kreis-Was also tun, war die Frage! Der Kongress läuft in diesem Jahr unter dem Motto „Landwirtschaft Macht Essen“-Wer hat die Macht über die Landwirtschaft und das was wir letztendlich essen? Wer produziert unser Essen? Und wollen wir da nicht ein Wörtchen mitreden?
Sei Teil des Umgestaltungsprozesses
Am 30.September können sich Mitredner, Aktive, Satte, Konstruktive oder einfach nur Interessierte ab um 16 Uhr in der Emmauskirche am Lausitzer Platz für den zweiten Wir haben es satt Kongress anmelden. Für das Wochenende um den 01.10. und 02.10 sind verschiedene Workshops geplant in denen in Kleingruppen unter Moderation von ExpertInnen zu den unterschiedlichsten Themen diskutiert werden kann.
Initiiert wurde der zweite Wir-haben-es-satt-Kongress von der Kampagne Meine Landwirtschaft, ein Bündnis aus 50 verschiedenen Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt-, Natur-, Tier- und Verbraucherinnenschutz sowie Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2010 setzt sich die Kampagne für eine Agrarwende ein, hin zu einer bäuerlich-ökologischeren, und damit einer sozialen, tier- und umweltfreundlichen Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion in Deutschland und weltweit. In Anlehnung an die Wir-haben-es-satt-Demonstrationen zu denen zehntausende Menschen jährlich nach Berlin kommen, wird der Diskussion um die Agrarwende auf dem Kongress eine Plattform zum Austausch und zur Vernetzung geboten. „Von der Straße auf den Kongress“.
Die Veranstaltung findet in Kooperation mit dem Stadt Land Food Festival statt. In und um die Markthalle Neun wird es vom 01.-03. Oktober eine Fest für die bäuerliche Landwirtschaft und eine handwerkliche Lebensmittelproduktion geben. Bereits im letzten Jahr haben 100.000 Menschen am ersten Stadt Land Food Festival teilgenommen und damit ein Zeichen gesetzt. Für eine Symbiose der Region und der Großstadt. Für nachhaltige, ökologische und sozial faire Standards in der Ernährungs-und Lebensmittelbranche.
Zum Programm des Kongresses geht es hier.