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Porträt

BIW#6 // Bis es mir vom Leibe fällt

Produktdesign Textilien Upcycling

von Lena A - 9 August 2016

Lisa hat eine Veränderungsschneiderei - an sich schon ein Unikat. Bis es mir vom Leibe fällt begreift Mängel und Unzulänglichkeiten als Ansporn zur Weiterentwicklung und ergreift die Chance, kreatives Schaffen als Politikum zu begreifen. Durch die Veränderung von gebrauchter Kleidung und eingestaubten Fehlkäufen finden ihre Kund*innen Spaß am Wiederverwenden und bekräftigen statt des blinden Konsums eine textile Erinnerungskultur. Vom Fake zum Original – Über Massenmode, Performancekunst und Reparaturen, die Geschichte schreiben.

Es beginnt als Traum vom Musical „Hair“ im Juni 1974. Dieser Traum manifestiert sich unter dem Weihnachtsbaum in einer Woll-Polyestermischung. Neben einer Abba Platte aufgewacht und in die Welt hinausgetragen, zu Demonstrationen, Rendezvous und schweißdurchtränkten Disconächten. Der fliederfarbene Fransenpulli ist en Vogue und wird kurzerhand von einer WG-Besucherin seiner 17-jährigen Trägerin einige Jahre später nach Berlin entführt. Was sich im Moment wie Liebe anfühlt, stellt sich als Affäre heraus. Darauf folgen 30 Jahre Mottenkiste Moratorium, bis Sandra plötzlich um die Ecke kommt.

Anders gefragt: Was haben eine Literaturstudentin der DDR, die Lyoner Sektion der jeune communistes und eine Berliner Jungdesignerin gemeinsam? Und was hat der Kärntner Pensionistenverein mit einem 20-jährigen Mädchen zu tun? Sie verbindet eine non-verbale Form der Erzählung, die Sozialgeschichte der Mode. Viele dieser Geschichten gehören zu der Sorte Zufall, die Leben verändern, oder zumindest ein neues Körperbewusstsein schaffen. Alle diese Geschichten handeln von einem (Massen-)Kleidungsstück, das sich durch mehrere Hände zum Unikat entpuppt. „Es ist eigentlich alles Reparatur.“, sagt Elisabeth Prantner, genannt Lisa, „wir reparieren uns ständig selber.“ Aus ihrer Sicht ist Modedesign vielleicht schon immer Reparatur gewesen, getrieben von dem Wunsch, Mängel und Unzulänglichkeiten auszugleichen.

Lisas Performanceprojekt „Boat People“ am Burgtheater Wien inspiriert sie, ihren „angeborenen Widerstand gegen die Übermacht der Konzerne, gegen die Übermacht der Verallgemeinerung“ off-stage in die Bevölkerung zu tragen. Aus 1500 Babyklamotten entstehen vor den Augen der Besucher*innen 70 Abendkleider, Applaus Applaus und Vorhang zu - „Aber eine Änderung im Verhalten findet nicht statt“. Seit zehn Jahren ist Lisa mit ihrem soziologischen Blick auf Mode künstlerisch aktiv. Ansätze der Konsumkritik und der fragwürdige Teil der Globalisierung untermauern ihre Arbeiten theoretisch. Wo sind Individualität, Wertschätzung und Eigeninitiative im Modesektor geblieben? Anfang 2011 eröffnet sie die Veränderungsschneiderei „Bis es mir vom Leibe fällt“ in den Hackeschen Höfen. Junge Designer*innen nähen „komplizierte Sachen“, im Auftrag ihrer Kund*innen oder in Zusammenarbeit. Opas zwei Hosen verwandeln sich in ein Sakko, aus dem Riss eines Hochzeitskleids wachsen Blumen.

Der kreative Akt ist wichtig, um entgegen der kollabierenden Textilproduktion, wie Lisa es ausdrückt, neuen Mut gen Ausdrucksstärke zu fassen. „Viele kommen mit Erinnerungen“, Kund*innen schicken Pakete etwa aus Hamburg oder München und Lisa und ihre Mitarbeiter*innen „daten up“, „küssen wach“, „vereinzigartigen“ und schaffen damit in kollaborativer Arbeit einen „Befreiungsschlag für alle beteiligten Akteure“. „Laut Greenpeace wird 50% aller Kleidung in Deutschland weggeworfen, ohne sie ein Mal zu tragen“. Keine Frage, Bis es mir vom Leibe fällt ist eine Kampfansage auf den Straßen Berlins, ohne dabei seine ursprüngliche Theatralik zu verlieren. Veränderung in Gestalt des Upcyclings ist für Lisa die Chance des Neuen, der Weiterentwicklung, „ Flexibilität im guten Sinn. Nicht, was die Konzerne von uns wollen. Dass wir flexibel sind um deren Arbeit zu machen.“ Sie wünscht sich neben mehr Wertschätzung des Menschen - durch Kleidung – mehr Bewusstsein für das zeit- und kostenaufwändige Handwerk der Textilherstellung: „Kreative Arbeit muss bezahlt werden“. Eine Forderung, die aktuell laut durch die Theater schallt.

Im Gegensatz zum Diktat der Massenproduktion, die meist fragwürdige Lohnarbeit, Unmengen Ressourcen von überall und Uniformierung mit sich trägt, „kann Reparatur loslassen“ und sich einem neuen Gefühls des Ichs hingeben. Modebewusstsein im Sinne der Slow Fashion Bewegung, zu der sich auch Lisa und co zählen, ist die Idee, Statist*innen zu Hauptdarsteller*innen ihrer eigenen Vorstellung von Perfektion zu machen. Sich wohlfühlen, nicht als temporäre Projektionsfläche eines anderen, sondern für sich selbst einstehen zählt. “Du musst dein Leben ändern. Das ist die Parole.”

Die Designerbranche reagierte reserviert auf Lisas Unternehmen, plötzlich wird repariert, „Da sagen die: spinnt die jetzt total oder was?“. Das hat sich seit der Eröffnung geändert. Lisa trägt ihr Wissen in Workshops weiter, kürzlich in Tel Aviv. „Dann fängt das auch an, dass ich anfange anders zu denken.“ Sie träumt von mehr Querfinanzierung durch Kooperationen mit Schulen und Organisationen. „Pimp up your Shirt“ zum Beispiel, ist eines ihrer Workshopkonzepte das sich gut für junge, unerfahrene Leute eignet. Die Entwicklung des Upcyclings sieht Lisa derzeit eher stagnieren, dennoch ist Lisa zuversichtlich, vor allem in Berlin. „Eigentlich ändert sich das Leben ständig, wir versuchen den momentanen Zustand festzuhalten... In den Fluss des Wandels begeben und auf ihm surfen. Das wäre eine tolle Art, sich zu verändern.“
Lisas Kund*innen bringen ihr Lieblingsteil, „Schrankleichen“ oder „Kellergespenster“ – vom Abendkleid bis zum Jutebeutel ist alles veränderbar bis hin zur absoluten Verwandlung. Bis es mir vom Leibe fällt flickt Löcher, saniert betagte Teile, fusioniert Kleidungsstücke und erfindet sie neu. Ganz so, wie es den Kund*innen eben beliebt. Auch intakte Kleidung lässt sich mit Knöpfen, Nähten, Stoffteilen und Farbakzenten mit ein paar Tricks und Kniffen aus der Designer-Kiste personalisieren. Neben Kleidung redesignt das Atelier Schmuck und Accessoires; mit stetig neuen Ideen frisch aus der Werkstatt. Ein Plädoyer für weniger Masse und mehr Qualität.

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