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Porträt

BIW#9 // handgewebt in berlin

Handwerk Produktdesign Textilien DIY

von Lena A - 23 August 2016

Dass die alten Ägypter wissen was gut ist, ist nichts Neues. handgewebt in berlin produziert kaiserliche Gewebeunikate, bei deren Anblick die Germanen oder Cäsar nicht schlecht gestaunt und doch für jedwede Tuche Verwendung gefunden hätten. Warum die rechtwinklige Verkreuzung von Kette und Schuss nicht aus der Mode kommt und in allen Epochen ein unersetzliches Handwerk ist. Und bleibt.

Das Weben ist eine mindestens 32.0000 Jahre alte Kulturtechnik und somit eine der ältesten Handwerkstraditionen des Menschen. „Sag mal Dagmar, willst du nicht was mit meinen pommerschen Landschafen machen?“, fragt eine Freundin, die sich diesen knuffigen, wolligen Stummelbeinchen zuordnet. Und so wird aus Dagmar Rehse die Abnehmerin des Müllers schönen Tochter, die Stroh zu Gold spinnt; und die Dagmar wiederum zu Heimtextilien verkreuzt, „das heißt Sachen, die man zuhause braucht und auch eine bestimmte Funktion haben“. Ihr Label handgewebt in berlin gibt es seit circa sechs Jahren, zuerst in einem Neuköllner Atelier und seit drei Jahren in der Prinzenalle im Wedding - „seit 2013 bespielen wir das auch zu dritt, als Gemeinschaftstelier“, erklärt sie uns.

Die ausgebildete Weberin fertigt in ihrem Atelier handgewebte Produkte, zum Beispiel
Geschirrtücher aus einem Lein-Baumwoll-Gemisch: die Baumwolle saugt das Wasser auf und der Lein poliert Gläser. Ihr Kunsthandwerk ist ein Immergrün, funktionale Blickfänge, die langlebig sind und bunt funkeln, „die auch mir Spaß machen“, sagt Dagmar. Dafür greift sie auf altes Wissen zurück und kombiniert dieses mit modernem Design. Ihr Fokus liegt auf Indiviualisierung, nicht auf „High-End Fashion“ und großen Messen; folglich können ihre Kund*innen nebst dem Sortiment von handgewebt in berlin, das mit (Geschirr-)handtüchern, Brotbeuteln, Kissen, (Schafschurwolle-)teppichen und Matten üppig aufgestellt ist, persönliche Wünsche verweben lassen, in Form der genannten Produkte oder als Bildgewebe mit dem Hochwebstuhl. Letzteres stellt Dagmar hin und wieder aus, zum Beispiel ihr flämisches Blümchen, das japanische Schlichtheit mit den Pastelltönen eines Kirschbaums verbindet, auf der Textile Art in Berlin oder die Anarcho-Katze „politischer Ausdruck und Gemälde zugleich“.

„Für mich zum Verarbeiten ist das nichts“, antwortet Dagmar ihrer Freundin mit den Schafen; der aufwendige Prozess von Wolle, das Waschen, Kardieren, Spinnen und Weiterverarbeiten, sind gemeinschaftlich besser bearbeitet. Dagmar leistet neben ihrem Dasein als Weberin Bildungsarbeit, „kritische Auseinandersetzung mit Textilien“. So initiiert sie „Von der Schafswolle zum Garn“, ein Nachbarschaftsprojekt im Wedding, bei dem sich die Wolle der pommerschen Landschafe in Textilien transformiert. Diesen Workshop bietet sie auch bei der Wandelwoche 2016 an. „Mir ist es wichtig, nicht alleine zu arbeiten, auch wenn wir erstmal unterschiedliche Sachen machen, haben wir doch unterschiedliche Schwierigkeit und können uns gegenseitig unterstützen“. Dagmar macht Textilien, Maria Stieger entwirft Strick und Dorothea näht und quilt Patchworkdecken und Auftragsarbeiten. Für Dagmar und ihre Mistreiterinnen, die sich dem „Fast-Fashion“ Drang entgegensetzen, ist es immer noch schwierig, sich auf dem Kunst- und Designmarkt zu etablieren.

„Wie werden Textilien hergestellt? Wie werden Textilien wertgeschätzt? Welche Bedeutung hat das eigentlich für uns?“, sind Fragen, die Dagmar und die anderen in ihren Köpfen spinnen. Die Bildungsarbeit der Weberin von handgewebt in berlin ist eine „kritische Auseinandersetzung mit Textilien“, die nahebringt, wie Textilien entstehen und dass deren Kauf von der Stange ein langer Verarbeitungsprozess vorausgeht. Eine „ Verknüpfung von Weben hin zum Textil“, so Dagmar, bei Konsument*innen herstellen und diese hoffentlich selber zu Weber*innen ausbilden. Textilien fast von Anfang an herstellen. So etwas sieht Kund*in selten bei Großkonzernen. „Es ist ein Kampf, immer wieder muss erklärt werden, warum die Produkte so teuer sind und dass andere darunter leiden, dass wir billige Textilien haben... die wir ja kaum wissen, wie sie hergestellt werden“, lautet ein kleiner Einblick von Dagmar in ihre Vermarktungspraxis auf Messen und Märkten. Nicht selten verlagern Massenproduktionen ihre Textilherstellung in asiatische oder osteuropäische Länder. Dem widerstrebt die hohe Anfrage von Leuten an handgewebt in berlin, die selber weben wollen. „Was ich als Weberin gerne erreichen würde ist dieses Bewusstsein und Wertschätzung von Textilien und dass Leute sich mit dem Prozess auseinandersetzen, ihr Konsumverhalten kritischer wird“.

„Meine Textilen verkaufen, tauschen, damit ich davon leben kann“, wünscht sich Dagmar - Teppich gegen Visitenkarte. Mindestens zehn Weber*innen seien über Berlin verteilt, die teilweise zuhause, teilweise im eigenen Atelier arbeiten. Leider gäbe es selten Austausch unter ihnen, obwohl es doch recht sinnvoll wäre, gemeinsam den Vermarktungsweg zu besteigen, mehr Verbindung zu den Garnhersteller*innen herzustellen und neue Quellen zu finden, denn der Materialeinkauf, meist aus „nordischen Ländern“, gestaltete sich zunehmend schwieriger, als Handarbeiterin und Kleinarbnehmer*in. „Mehr Leute, die uns finden“ und welche „die sich was gönnen“, brauche es. Dagmar bleibt dabei und bei ihrer, Bildungsarbeit über Webkurse, wie ihre Vorträge über Camp Labour, Frauen in indischen Webereien, die sklavenähnlich behandelt werden oder die Reise der Jeans in Schulen, bei der sie Kindern erklärt, dass eine Hose 1.5 Mal um die Welt reist, bis sie im Schrank landet.

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