Aus der webseite, auszug aus dem Buch Prinzessinnengarten. Anders gärtnern in der Stadt:
Der Prinzessinnengarten ist ein urbaner Nutzgarten. Auf einer seit Jahrzehnten brachliegenden Fläche wird hier mitten in der Stadt Gemüse angebaut. Seine Existenz verdankt der Garten dem Engagement unzähliger Nachbarn, Interessierter und Freunde. Sie haben im Verlauf von drei Sommern mit ihrer Arbeit, ihrer Leidenschaft, ihren vielfältigen Fähigkeiten und ihren Ideen diesem vergessenen Ort eine neue Form von urbanem Grün abgewonnen. Und weil die Menschen und Motive, die diesen Ort möglich machen, so vielfältig sind, kann das, was ich auf den nächsten Seiten darüber schreibe, nicht mehr als eine persönliche Annäherung an diesen Ort sein.
Der Prinzessinnengarten liegt in Kreuzberg 36 zwischen Prinzen-, Oranien- und Prinzessinnenstraße und hat etwa die Größe eines Fußballfeldes. Hier werden ausschließlich Nutzpflanzen angebaut, lokal und ökologisch. Der Garten als Ganzes ist mobil. Bar, Küche, Werkstatt und Lagerräume befinden sich in ausgedienten und umgebauten Überseecontainern, angepflanzt wird in Hochbeeten aus Stapelbehältern und in Reissäcken. Diese vom vorgefundenen Boden unabhängige Anbauweise und die Verwendung von lebensmittelechten Materialien erlauben einen ökologischen Anbau in der Stadt, in der die verfügbaren Flächen zumeist entweder versiegelt oder kontaminiert sind. Darüber hinaus eröffnet ein mobiler Garten die Möglichkeit zu einer temporären Nutzung. Die Fläche am Moritzplatz mietet der Prinzessinnengarten von der Stadt. Sie soll allerdings privatisiert werden und der Nutzungshorizont für den Garten beträgt jeweils nur ein Jahr. Die Miete und alle weiteren Kosten trägt der Garten selbst. Einnahmen werden erzielt durch die Gartengastronomie und den Verkauf des Gemüses, aus Mitteln, die wir für die Durchführung von unterschiedlichen Bildungsprojekten akquirieren, aus dem Aufbau weiterer Gärten, Beratungsleistungen, Honoraren für Bilder, Vorträge und Führungen sowie aus Spenden in Form von Beet- und Gartenpatenschaften. Im Prinzessinnengarten besitzt niemand ein eigenes Beet. Viele Menschen engagieren sich hier freiwillig, um einen solchen Ort überhaupt möglich zu machen. Als Rahmen für die unterschiedlichen sozialen, bildenden und wirtschaftlichen Aktivitäten haben wir ein gemeinnütziges Unternehmen namens Nomadisch Grün gegründet, dessen zentrales Anliegen es ist, den Garten zu einem Ort des Lernens zu machen. Da wir überwiegend Amateure und Quereinsteiger sind, geht es dabei vor allem um Formen informellen Lernens. Kenntnisse werden durch praktische Erfahrungen und den Austausch von Wissen erworben.
Der Prinzessinnengarten ist mehr als bloß eine Anbaufläche für Gemüse in der Stadt; er eröffnet Raum für vielfältigste Aktivitäten. Durch die Möglichkeit zum Mitwirken und durch offene Workshops, durch das Gartencafé und eine Reihe von kulturellen Veranstaltungen ist der Prinzessinnengarten zu einem lebendigen Treffpunkt geworden mit einer Anziehungskraft weit über die Nachbarschaft hinaus. Gleichzeitig ist er ein Beispiel für eine neue Art des Gärtnerns in der Stadt. In jüngster Zeit ist immer öfter von Gärten zu hören, die mit den gängigen Vorstellungen vom Grün in der Stadt, mit Parks, Vor- und Schrebergärten, nur wenig zu tun haben. Begriffe wie urban gardening, urban agriculture, community gardens, city farms oder guerilla gardening finden mit diesen Gärten und ihren Akteuren Eingang in den Sprachgebrauch. Die überwiegende Verwendung englischer Begriffe ist dabei kein Zufall, handelt es sich doch um ein Phänomen, das in unterschiedlichster Ausprägung in vielen Städten der Welt zu beobachten ist. Besonders verbreitet sind die community gardens und Urban-farming-Projekte in Nordamerika. Aussehen und Größe dieser Gärten sowie Motive und Ideen der GärtnerInnen mögen im Einzelnen stark variieren. Was diese Gärten neben dem Fokus auf lokale Nahrungsmittelproduktion aber verbindet, ist, dass sie als Gemeinschaftsprojekte und aus Eigeninitiative heraus aufgebaut werden. Darüber hinaus wird das Gärtnern nicht nur als schöner Zeitvertreib und der Garten als privater Rückzugsort verstanden – Umnutzung städtischer Flächen, Eigenanbau und Nachbarschaftsarbeit werden in der Regel mit weitergehenden gesellschaftlichen Fragen verbunden. In ihrer praktischen Tätigkeit greift diese neue Gartenbewegung Themen wie Biodiversität, gesunde Ernährung, Recycling, Umweltgerechtigkeit, Klimawandel oder Ernährungssouveränität auf. Praktisch demonstrieren urbane Gärten einen ökologisch und sozial anderen Umgang mit städtischen Räumen und ihren Bewohnern, leisten ein empowerment sozial marginalisierter Bevölkerungsgruppen und sind Orte, an denen die Möglichkeiten für lokale Mikroökonomien und andere Wohlstandsmodelle ausprobiert werden. Auf eine unaufdringliche und pragmatische Art wird in solchen Gärten die Frage aufgeworfen, wie wir in Zukunft in den Städten leben wollen.
Auszug aus: Marco Clausen, Eine andere Stadt kultivieren, in: Prinzessinnengarten. Anders gärtnern in der Stadt (Dumont 2012)
Titelbild
Urheber: Marco Clausen
Lizenz: CC BY-NC-SA 2.0