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"Das Ende der Megamaschine" - Der Autor Fabian Scheidler zu gesellschaftlicher Transformation

In dem 2015 veröffentlichten Buch „Das Ende der Megamaschine“ legt Fabian Scheidler dar, wie die historischen Abläufe der letzten 5000 Jahre die Welt sowie die Menschen in ihr geprägt haben und dass durch das Zusammenwirken der Abläufe ein System entstanden ist, das uns bei genauerer Diagnose zu den ökonomischen, ökologischen und sozialen Krisen der heutigen Zeit führt. Wir haben den Autor befragt, welche Schritte gegangen werden können und müssen, um der Megamaschine den Saft abzustellen.

von Claudia Dube
Themen Gesellschaft
20 März 2017

Belegt mit etlichen Beispielen aus der Vergangenheit und der Gegenwart, dekonstruiert Scheidler Schicht um Schicht den „Mythos der westlichen Welt“. Er deckt Zusammenhänge auf, die den Leser zugegebenermaßen in ihrer Wucht und Logik erschlagen. Dennoch beleuchtet er auch die Positivbeispiele, nennt dabei aber dankenswerterweise keine Pauschallösungen, denn eine lineare Denkweise sei auf das dynamische System Mensch ohnehin nicht anwendbar.

BIW: Welches ist der erste und welches der nächste Schritt für Menschen, die sich aus der Megamaschine befreien wollen?

F.S.: Das ist für jeden Menschen ganz anders. Für den einen beginnt es vielleicht damit, sich zu fragen, was er eigentlich für einen Job macht, ob er die Ziele des Unternehmens wirklich vertreten kann – und daraus eventuell Konsequenzen zu ziehen. Andere beginnen vielleicht, sich vor Ort für MigrantInnen und ihre Rechte zu engagieren (repressive Grenzregime sind ein Teil der Megamaschine), eine Transition-Town-Initiative zu gründen, gegen die Privatisierung der öffentlichen Infrastruktur auf die Straße zu gehen oder ein Buch zu lesen, das ihnen hilft zu verstehen, was eigentlich vorgeht. Der nächste Schritt besteht darin, sich mit anderen zu organisieren, um dauerhaft Strukturen zu verändern.

BIW: Sie sind ja schon lange unterwegs, um ihr Buch vorzustellen. Wie ist das Feedback dazu? Gibt es viel Gegenwehr? Oder: Haben Sie ihr Buch schon einmal vor Publikum vorgestellt, das mit der Thematik eher nicht Berührung kommt? Wie waren da die Reaktionen?

F.S.: Das Feedback ist extrem positiv, es gibt offenbar ein sehr großes Bedürfnis, systemische Zusammenhänge zu verstehen. Ich hatte mit mehr Abwehrreaktionen gerechnet, weil das Buch ja einige liebgewordene Mythen der westlichen Zivilisation infrage stellt. Allerdings gab es bisher relativ wenig Reaktion in den großen Mainstream-Medien. Ich sehe es mit großer Sorge, dass in der breiten Öffentlichkeit so gut wie keine Diskussion über die größeren systemischen Zusammenhänge der globalen Krisen gibt. Vielleicht wird das Buch ja langfristig helfen, so etwas in Gang zu setzen.

BIW: Wie könnte man Menschen erreichen, die zu solchen Themen keinen Zugang haben oder die auch von der Ohnmacht, die einen in der Auseinandersetzung damit überfallen kann, schlicht erschlagen sind und davon eigentlich lieber gar nichts wüssten. Haben Sie das schon einmal erlebt und wie sind Sie damit umgegangen?

F.S.: Es gibt natürlich viele Ohnmachtsgefühle angesichts der gewaltigen ökonomischen und ökologischen Verwerfungen. Meine Erfahrung ist, dass das Verstehen von Zusammenhängen oft ein erster Schritt aus der Ohnmacht heraus sein kann. Wichtig ist es, ein Gefühl von „Selbstwirksamkeit“ zurückzugewinnen. Da kann es helfen, sich konkret vor Ort mit anderen zusammen zu engagieren, um aus der Vereinzelung herauszukommen und zu erfahren, dass gemeinsam Änderungen möglich sind, und sei es zunächst auch nur in kleinen Schritten.

BIW: Sie gehen am Beispiel der Pariser Kommune, u.a. ja auch darauf ein, dass das System sich wehrt, sollte ein Gegenentwurf zu erfolgreich werden. Und letztlich hat das System ja auch viele Möglichkeiten sich zu wehren (Gesetze, Verbote, wissenschaftliche Erkenntnisse). Wie können Initiativen widerstandsfähiger werden, damit ihnen nicht der goldene Aluhut aufgesetzt wird?

F.S.: Die Geschichte der letzten 500 Jahre ist voll von Revolten und Revolutionen. Die militärischen und ökonomischen Herrschaftsapparate haben oft mit extremer Brutalität reagiert, besonders wenn solche Revolutionen erfolgreich waren wie etwa die Basisdemokratie in Paris 1871. Ich denke aber, dass es in den meisten Ländern der Welt heute nicht mehr möglich wäre, Zehntausende von Bürgerinnen und Bürgern einfach standrechtrechtlich zu erschießen, wie es die französischen Truppen – mithilfe der deutschen – mit den Aufständischen von Paris taten. Natürlich gibt es noch immer viel Repression, etwa in der Türkei und vielen anderen Ländern, auch teilweise im Westen. Aber die sozialen Bewegungen der letzten anderthalb Jahrhunderte haben auch Rechte erkämpft, die man nicht einfach über Nacht wegwischen kann. Der massive Protest gegen die autokratische Regierung von Donald Trump zeigt das. Für Widerstandsfähigkeit ist es sehr wichtig, dass man Aktivisten, wenn sie unter Druck gesetzt werden, nicht allein lässt sondern Missetaten der Macht öffentlich sichtbar macht. Medien und Whistleblower spielen dabei eine wichtige Rolle, aber auch jeder, der einen Übergriff von Staatsgewalt mit seinem Handy filmt. Repression geschieht am leichtesten im Dunkeln, wenn man sie ins Licht zerrt wird es schwer, sie auf Dauer zu legitimieren.

BIW: Wie ist die Rolle von Technologie und Internet, beides junge Errungenschaften, also innerhalb der von Ihnen beschriebenen Strukturen entwickelt - Ist es möglich sie als Werkzeug zu benutzen, um den Wandel positiv zu gestalten? Oder wirken die von Ihnen beschriebenen Mechanismen zu stark auf die aktuelle Kommunikation, um diese Errungenschaften gegen die Megamaschine nutzen zu können (soziale Medien, ständige Erreichbarkeit, Fake News, ...)?

F.S.: Der Kapitalismus erzeugt ständig Widersprüche und auch Strukturen, die sich gegen ihn selbst wenden können. Schon die Verbreitung und Demokratisierung der Buchdruck-Technik hat es erlaubt, auch systemkritische Positionen in eine breitere Öffentlichkeit zu bringen, vor allem in der Zeit der Französischen Revolution und im frühen 19. Jahrhundert. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde der Zeitungsdruck allerdings im großen Maßstab unter die Kontrolle des Großkapitals gebracht. Der deutsche Zeitungsmarkt wird heute von acht Milliardärsfamilien beherrscht, bei den Buchverlagen ist es ähnlich.

Das Internet wurde ursprünglich vom MIT für militärische Zwecke entwickelt, erschloss aber mit seiner Öffnung bald neue Möglichkeiten für eine kritische Öffentlichkeit. Allerdings zeichnet sich hier eine Übernahme durch große Unternehmen wie Facebook, Google, Amazon etc. ab, die nicht nur unsere Informationsflüsse lenken, sondern zusätzlich - und das ist neu - Staat und Wirtschaft enorme und höchst gefährliche Überwachungsmöglichkeiten bieten. In der Türkei sehen wir bereits, wie solche Daten bei Verhaftungen von Dissidenten genutzt werden können.
Der Kampf um ein freies Internet und um neue Strukturen, die uns von den Datenkraken wie Facebook befreien, ist daher sehr wichtig.

"Fake News" sind keine Domäne des Internets. Auch große Zeitungen produzieren immer wieder Fake News, etwa die großen amerikanischen Medien, darunter auch die New York Times, die 2003 unisono behaupteten, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen - und die damit die Lügen der damaligen US-Regierung weiterverbreitet haben. Diese Fake News der selbsternannten "Qualitätspresse" sind mitverantwortlich für das Desaster im Nahen Osten und mindestens eine Million Tote des Irak-Kriegs. Kritik an Fake News sollte auf Seiten der Massenmedien also zunächst einmal mit einer schonungslosen Selbstkritik beginnen.

BIW: Welche Rolle spielen Bücher/Veröffentlichungen wie "Die Megamaschine" bei der Ausgestaltung gesellschaftlicher Transformation?

F.S.: Eine positive Transformation ist ein Wechselspiel von Verstehen und Handeln. Um einen Weg zu gehen, braucht man eine Idee davon, wo man sich befindet, wo man herkommt und wo man ungefähr hinwill. Ein Buch wie „Das Ende der Megamaschine“ ist ein Versuch, so eine Karte herzustellen, in diesem Fall mit einem sehr großen Überblick. Man braucht natürlich auch viel detailliertere Karten für spezielle Orte und Situationen. Nur das große Ganze anschauen, hilft auf Dauer nicht weiter, aber ab und zu braucht man einen großen Überblick zur Re-Orientierung, sonst verliert man sich in den Details.

BIW: Kennen Sie Berliner Initiativen, die gerade besonders vielversprechend sind, was die Transformation betrifft? Und welche Lichtblicke gibt es gesamtgesellschaftlich?

F.S.: Derzeit (Januar 2017) gibt es eine Besetzung des Instituts für Sozialwissenschaften der HU, um gegen die Kündigung von Andrej Holm zu protestieren, der durch eine unsägliche Kampagne, die an die Kommunistenjagd des Kalten Krieges erinnerte, aus seinen Ämtern gedrängt wurde. Dort verbindet sich nun der Protest gegen die Immobilienmafia, die in Verbindung mit neoliberaler Politik die Mieten in die Höhe treibt, mit der Kritik an der Hochschulpolitik. Wenn sich Initiativen zu verschiedenen Themen und aus verschiedenen Milieus miteinander verbinden, kann sich politische Stoßkraft entfalten. Das gilt lokal genauso wie global.

Auch in 2017 wird Fabian Scheidler noch für Lesungen quer durch Deutschland touren, um die Mechanismen, die auf uns wirken aufzudecken. Auf der Webseite des Buches kann man sich umfassender informieren und die kommenden Termine einsehen. Der nächste Termin in Berlin wird am 26. April stattfinden.

Die Wirkweise zu verstehen sei also ein erster Schritt, um einen wirklichen Wandel einzuläuten. Umfassende Aufklärung liefert Fabian Scheidler in seinem Buch. Inspiration und Motivation lassen sich in unseren Videoporträts finden. Es gibt schon etliche Initiativen,Vereine und Projekte, die diesen Wandel begleiten, initiieren und vorantreiben. Davon kann man selbst Teil werden oder sogar etwas eigenes auf die Beine stellen. Wichtig ist, dass man aktiv bleibt und wird. In diesem Sinne: "wann, wenn nicht jetzt? Und wer, wenn nicht wir?"

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