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Porträt

BIW#7 // Mittwochsinitiative

Soziales

von Lena A - 9 August 2016

Die Kurfürstenstraße ist der größte Straßenstrich Berlins. Ihren täglichen Bedarf decken Kondome, Spritzen, Gleitgel und Gummibären. Und die Mittwochs-Initiative e.V., die seit über 25 Jahren in der Zwölf-Apostel-Kirche ein Treffpunkt für Prostituierte und Drogenkonsument*innen ist – ein Ort des Rückzugs und zum Zuhause sein. Die Bundesregierung hält in punkto Drogenpolitik am Abstinenzparadigma und Strafverfolgung fest. Selbsthilfeorganisationen kritisieren den Mangel an Hilfsangeboten und Akzeptanz.

Wurst bei „Curry-Bernd“ und Blowjob für 'nen Zwanni. Schore drücken auf dem Klo vom „Sound“ und dann David Bowie auf dem Dancefloor treffen. Das ist die Realität der 70er in Berlin-Tiergarten, kein zweiter Victoria Film. Der Kurfürstenkiez ist die Heimat des Rauschs – hier kursiert neben Heroin und Sex vermehrt Christal Meth. Kurz, „schon immer ein Milieu, wo es sehr abgeht.“ Dementsprechend groß ist das Bedürfnis nach Rückzug vor Zuhälter*innen, wütenden Anwohner*innen und der Polizei. Und dem Schutz vor Diskriminierung „vermeintlicher Randgruppen“, die von Unternehmer*innen und Kreativen durch die Vision eines neuen rotlichtfreien Kiezes bedroht sind.

Wir sind im Gespräch mit Franziska und Julia, die sich seit zwei Jahren ehrenamtlich in der Mittwochs-Initiative e.V. unter dem Dach der Zwölf-Apostel-Kirchengemeinde in Berlin-Schöneberg engagieren. „Uns ist das leibliche und seelische Wohl der Drogenkonsument*innen und Sex-Arbeiter*innen wichtig“. Im Gemeindezentrum der Zwölf-Apostel-Kirche gibt es deshalb Essen, szenetypische Gebrauchsgüter, Kleidung und vor allem: Ruhe. Die „Niedrigschwelligkeit des Orts“, sagen sie, erleichtere es für viele, einen Besuch zu wagen, etwas Warmes zu essen und sich auszutauschen oder Hilfe einzuholen. Das Gemeindezentrum mache es weniger offensichtlich und durch die Gemeinde fühle es sich gesellschaftlich anerkannter an.

Im Busch eine Spritze teilen heißt bei Verunreinigungen der Nadel neben Nervosität auch Hepatitis C oder HIV. Nicht selten verende ein Freund an einer Blutvergiftung, einem epileptischen Anfall, einer Überdosis. Sauberes Spritzbesteck für intravenöse Drogeninjektion sind für Konsument*innen deshalb mindestens so überlebenswichtig, wie das Kondom für Sex*arbeiterinnen beim Verkehr. Die Mittwochs-Initiative e.V. ist ein „Schutzraum für Menschen, die sonst keinen Raum haben“ und sich nicht entspannt in Cafés aufhalten können. Fachgerechte Spritzenentsorgung und steriles Material verhelfe unter dem Begriff „safer Use“ Drogenkonsum „so sicher und gesund wie möglich“ zu gestalten.

Die Zahl der Besucher*innen des Gemeindezentrums nimmt ständig zu. An einem Abend können es gerne mal bis zu 60 Leute sein, häufig Stammgäste, die gerne länger bleiben. Viele unter ihnen leben in „prekären Verhältnissen“, „schlafen mal hier, mal da“ oder sind obdachlos. Ein warmes Essen aus der Suppenküche und ein Aufenthaltsort mit Sofas, Blumen und Kerzen sind in dieser Situation Balsam. Ab nachmittags schnippeln freiwillige Helfer*innen die Lebensmittellieferung des Berliner Tafel e.V. Dafür wünschen sich Franziska und Julia mehr Ehrenamtliche, von denen es nicht genug geben kann. Sie freuen sich darüber, jeden Mittwoch mit den Leuten der Gemeinde, meistens 5-6 Ehrenamtliche pro Schicht, ihre Gäste willkommen zu heißen. Ein regulärer Mittwochabend läuft von 19-22 Uhr. Das habe ihr soziales Leben total bereichert und sie seien stolz darauf, die Menschen in ihrem Leben zu unterstützen statt zu kriminalisieren.

Und der Wandel? „Unumgänglich. Nichts bleibt wie es ist. Wandel kann man immer auch mitbestimmen. Da steckt auch Hoffnung drin. Dass es besser wird. Vielleicht ist ja in zehn Jahren alles so gut, dass wir uns nicht mehr brauchen. Dass wir uns selbst abschaffen.“, scherzen Franziska und Julia. Sie halten es allerdings für wahrscheinlicher, dass die Nachfrage nach ihrem Hilfsangebot zunimmt. Vor allem, wenn politische Aufklärung unterbleibt und die Gesellschaft keinen anderen Umgang mit Drogenkonsum und Sexarbeit findet.

Gewalt und Vorurteile gegenüber Drogenkonsument*innen und Sexarbeiter*innen sind in der Kurfürstenstraße alltägliche Praxis. Die Mittwochs-Initiative e.V. möchte die Lage im Kiez mit ihrer Arbeit entspannen und konfliktfreier gestalten. Den Betroffenen gibt sie eine Möglichkeit, sich auszuruhen. Der Verein sammelt Spenden, Geld und Gegenstände wie Kleidung (für jegliches Alter), Hygieneartikel (Feuchttücher, Handcreme) und Gleitgel. Gleichermaßen wünscht er sich Leser*innen, mehr Bewusstsein für die Thematik und tatkräftige Unterstützung vor Ort. Neben dem regulären Betrieb für den immer Ehrenamtliche gesucht werden, gibt es Heiligabend ein Weihnachtsfest. Das letzte Fest ist mit 182 Teilnehmer*innen und Geschenktüten gelungen. Auch dieses Jahr soll es Essen und Geschenke geben. Dafür sind Sie gefragt.

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