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Porträt

BIW#8 // Kunst-Stoffe e.V.

Abfall DIY

von Jule Breitschlag - 9 August 2016

Vom Friedhof der Spanplatten zum Re-Use: Werden Dinge nicht mehr gebraucht, landen sie in der Regel auf dem Müll, manchmal verstauben sie auch auf dem Dachboden. Kein Kreislauf, eher eine Einbahnstraße. Kunst-Stoffe - Zentralstelle für wiederverwendbare Materialien versteht sich als eine Alternative zu Müll. Das Materiallager in Pankow sammelt und verteilt Noch-Brauchbares und Seltsames und hinterfragt dabei die Rahmenbedingungen einer Kultur des Wegwerfens.

Verwaiste Stühle, aussortierte Holz- und Metallplatten, DDR-Textilien und Malerfarben von Rauhfaserweiß bis Karminrot: Auf zwei Etagen schafft das Materiallager Kunst-Stoffe Platz für Dinge des alltäglichen und nicht ganz so alltäglichen Bedarfs. Corinna Vosse, Soziologin und Gründerin von Kunst-Stoffe, führt durch einen der Lagerräume. Hier stapeln sich Artefakte, Dinge, deren Sinn sich nicht immer gleich erschließt. Handelt es sich um einen Halter für Buchlesezeichen oder einen Fliesen-Abstandsmesser? Was lässt sich aus den Gipswänden machen?

Die Idee komme aus New York, erzählt Corinna, die in den 1990er Jahren in den USA lebte. Dort lernt sie das „Material for the arts“ kennen, ein HotSpot der New Yorker Kunstszene, das Kultureinrichtungen und Künstler*innen verschiedene Ressourcen zur Verfügung stellt. Jahre später erinnert sich Corinna an das Materiallager und stellt fest, dass es etwas Vergleichbares in Deutschland noch nicht gibt. So gründet sie 2006 zusammen mit Frauke Hehl Kunst-Stoffe - und trifft damit im Zeichen der ökologischen Bewusstwerdung den Nerv der Zeit. Kunst-Stoffe möchte Strukturen schaffen für eine Ökonomie des Kreislaufs: Wenn Materialien prinzipiell noch gut erhalten und brauchbar sind, warum sie dann nicht wiederverwenden, umfunktionieren, neu denken?

Zeitweise am Tempelhofer Feld angesiedelt, eröffnet der Verein in Pankow das erste Materiallager. Die Sammelstelle wird schon bald ergänzt um offene Holz-und Metall-Werkstätten, sowie Repair Cafés. Ebenso entwickelt Kunst-Stoffe eigene Bildungsprojekte, beginnt sich für Nachhaltigkeit in der beruflichen Bildung zu engagieren. Neben der Zentralstelle in Pankow, gibt es seit einiger Zeit mit einem Repair Café in der „Fabrik“ im Wedding und in der ehemaligen Kindl Brauerei in Neukölln zwei weitere Standorte. Vor allem Messebauer, Theater und Eventagenturen spenden die Materialien, die bei den Unternehmen meist nur kurzfristig zum Einsatz kommen. Dass hier kuratiert werden muss, lernte das kleine Team schon recht bald: „Teilweise kam dann doch Schrott und Sondermüll, den wir nicht mehr losgeworden sind. Da haben wir natürlich mit der Zeit zu unterscheiden gelernt.“, erklärt Corinna.

Natürlich gehe es darum, Verantwortung zu übernehmen, ein kritisches Bewusstsein für den eigenen Konsum zu entwickeln. Ändern muss sich aber auch was in der Unternehmenskultur selbst, ist Corinna überzeugt. Noch immer externalisierten Unternehmen ihre Kosten für Abfallmaterialien im großen Stil und stellten Produkte her, deren Lebensdauer gerade bis zum Ende der Garantie reichen. Der 8. August 2016 wurde vom Global Footprint Network zum „Tag der Erdüberlastung“ gekürt - ein Stichtag, der von Jahr zu Jahr früher erreicht wird. Laut den Wissenschaftler*innen des internationalen Think Tanks sind demnach alle Ressourcen, die die Erde innerhalb eines Jahres regenerieren kann, für 2016 bereits aufgebraucht. Die Ergebnisse basieren auf dem Konzept des „ökologischen Fußabdrucks“, dass die Fläche berechnet, die für die globale Ressourcendeckung und Energieversorgung benötigt wird. Um aus dem Minus herauszukommen, muss umgedacht werden. Einen Ansatz für ein tragfähiges Modell und eine nachhaltige Ressourcenökonomie, liefert Kunst-Stoffe quasi vor der Haustür.

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