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Vorhang auf für den Wandel!

von Luca Asperius
Themen Gesellschaft Soziales Umweltschutz
9 August 2016

Was ist Wandel? Wie sollten wir unsere Denkweise, unsere Gesellschaft, unseren Lebenstil, die Art und Weise, wie wir mit Ressourcen umgehen, ändern, um den Planeten, den wir bewohnen, nicht zu zerstören und allen Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen? Solche fundamentalen Fragen benötigen so schnell wie möglich Antworten, da die negativen Folgen unseres Handelns immer stärker offensichtlich werden, dies geschieht nicht nur aus ökologischer sondern auch aus sozialer Perspektive. Diese existenziellen Fragen scheinen umso problematischer, desto mehr wir versuchen, sie von oben herab zu lösen: mit den gleichen Methoden, die Teil ihrer Ursache sind. So wird die Lösung zum Problem.

Ich gebe zu, bevor wir damals in Italien unsere Recherchen anfingen, nahmen wir die Situation nicht sehr vielversprechend wahr. Wir merkten jedoch schnell, dass Hopfen und Malz keinesfalls verloren sind und bereits viele Menschen, mit den unterschiedlichsten Visionen, vor uns an möglichen Lösungen arbeiteten. Andere Lebensweisen und Formen des Wirtschaftens und Arbeitens werden bereits an vielen Orten in der alltäglichen Praxis erprobt - und sie funktionieren.

Wieso wussten wir so wenig darüber? Warum erhalten solche Projekte nicht die Sichtbarkeit, die sie verdienen? Wir denken, dass heutzutage in den großen Medien etwas nicht so funktioniert, wie es funktionieren sollte. Eine Ökonomisierung der Aufmerksamkeit in der Medienlandschaft, und oft auch Abhängigkeiten zwischen Großunternehmen und Medien, haben zur Folge, dass die Berichterstattung über den alltäglichen Wandel nur wenig rentabel erscheint. Wir sahen hier eine Gelegenheit, die eine Vision und eine Berufung geworden ist: diese kommunikative Lücke zu füllen und die Sichtbarkeit und Anerkennung von Bewegungen, Projekten und guter Praxis des ökosozialen Wandels zu verbreiten, besonders für den Großteil der Menschen, die nicht täglich aktiv in diesen Bereichen sind.

Wir verpflichten uns einem Journalismus, der die positven Beispiele des Wandels aufzeigt, die ein Gegengewicht bilden zu einem Paradigma des Wachstums, zu obsessivem Individualismus, Technokratie und Ausbeutungsverhältnissen, die das Narrativ der großen Medien zu oft beeinflussen. Dagegen zeigen wir auf, wie und wo sich Resilienz, Solidarität und globale Gerechtigkeit auf lokaler Ebene realisieren. Der Zugang zu diese Information halten wir für eine notwendige Bedingung, damit jeder und jede sich eine eigene Meinung bilden und so ein gesellschaftlicher Wandel für alle stattfinden kann.

Welchen Wandel

Oben haben wir über Lösungen - im Plural – gesprochen. Es gibt nicht d i e e i n e Lösung, ein Rezept für alle unsere Probleme. Mit der Zeit entwickelten und entwickeln sich unterschiedliche Lösungen. Manchmal als Antworten auf spezifische praktische Fragen, manchmal als Modelle, die aus unterschiedlichen Perspektiven entstanden und entstehen. Menschen verändern im Kleinen ihren Lebensstil, um beispielsweise ihren ökologischen Fußabdruck zu verringern. Sie starten lokale Projekte, teilweise mit dem Gefühl, mit ihren Bemühungen allein zu sein und entgegen vieler Hindernisse. Wir denken, dass solche Projekte, bekämen sie die richtige Sichtbarkeit und Anerkennung, zum Nachahmen an anderen Orten anregen können.

Daneben gibt es auch stärker strukturierte Modelle, wie zum Beispiel Permakultur, solidarische Ökonomie, Transition Town, Degrowth, Gemeinwohlökonomie, Commons... Viele von diesen Bewegungen sind parallel gewachsen, einige kooperieren bereits miteinander. Wir sehen diese Ideen als sich ergänzende Teile eines größeren Ganzen, welches ein größeres Bild entstehen lässt, das das Potential hat, eine umfassende Alternative zur bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Organisation des menschlichen Lebens in westlichen Zivilisationen aufzuzeigen. Dadurch, dass wir bei imwandel in unserem täglichen Narrativ die verschiedenen Lösungsansätze und Perspektiven bündeln, möchten wir unseren Beitrag für eine notwendige Konvergenz leisten. Konvergenz soll für uns keine homogene Bewegung sein, sondern vielmehr ein fluider Zusammenhang von Praxis und Bewegungen, die den Wert ihrer Vielfalt behalten können. Konvergenz in diesem Sinne hat das Potential, durch gemeinsame Koordination systemische Lösungen vorzuschlagen.

Ursprung in Italien

Diese Einstellung zu Journalismus und ökosozialem Wandel, der wir folgen wollen, ist nicht neu, sie wurde entwickelt und ist erfolgreiche Praxis bei unserer großen Schwester Italia Che Cambia seit mehr als drei Jahren. Zu Beginn stand ein Kern von JournalistInnen und AktivistInnen, der sich durch die gemeinsame Arbeit in verschiedenen Online-Zeitungen zu Themen des ökosozialen Wandels gebildet hatte. Dann die Reise von Daniel Tarozzi, um das Italien im Wandel zu entdecken, das Buch, die ersten Videoporträts, die erste Karte. Stück für Stück formte sich die Idee, unsere Kompetenzen zu bündeln und im Rahmen eines neuen journalistschen Projekts, angepasst an die Bedürfnisse, die wir in den Treffen mit den einzelnen Akteuren und Bewegungen wahrnahmen. Also eine neue Karte, stark regional fokussiert, neue Kommunikationswerkzeuge. Über das Projekt in Italien sicher mehr in den nächsten Wochen.

Umsetzung in Deutschland

Wie kommt es, das wir jetzt in Deutschland sind? Vielleicht zufällig, obwohl rückblickend sieht es aus, als ob alles aus einem bestimmten Grund passiert. Ich habe meinen Erasmus an der Humboldt Universität gemacht, Berlin ist seit einigen Jahren mein zweites Zuhause. Im letzten Sommer präsentierte ich zum erstem Mal Italia Che Cambia, zu Gast bei den Freunden der Cradle to Cradle Regionalgruppe Berlin, die sofort starkes Interesse an dem Projekt zeigten. Dabei war auch der unersetzbare Alex, mit dem ich angefangen habe darüber nachzudenken, wie wir das Projekt in Berlin starten. Wir entschieden, auf dem Solikon im Sepember einen Workshop zu gestalten. Überraschenderweise war Italia Che Cambia schon dort bekannt (Danke, Giuliana.) so wurde eine Zusammenarbeit gestartet, die über den Workshop hinaus ging: Das Forum Solidarische Ökonomie ist der erste Partner, der an unser Modell geglaubt hat und uns seit Anfang an unterstützt. Den Winterschlaf ließen wir ausfallen: Wir entdeckten und trafen viele Projekte, die schon am ökosozialen Wandel arbeiten, besonders in Berlin und Brandenburg. Neue Gesichter, neue Ideen, neue Möglichkeiten für Zusammenarbeit, neue Freunde. Der nimmermüde und vielseitige Hannes (Vielen Dank für die sprachliche Unterstützung bei diesem Artikel, auch an seinen Vater.) ist nun ein festes Mitglied unserer Familie. Mit dem Frühling nahm unsere Plattform eine konkretere Form an, in Brandenburg auch dank der Unterstützung der Landeszentrale für politische Bildung, und der Möglichkeit, bei der zweiten Wandelwoche im September mitzumachen. Diese Zusammenarbeit sahen wir als symbolisches Zeichen, nach rund einem Jahr einen ersten Meilenstein unseres Projektes zu erreichen. Zusätzlich ist es auch die Frist, die wir vielleicht brauchten, um mit der Plattform an die Öffentlichkeit zu gehen.

Und jetzt?

Heute startet das erste Regionalportal Deutschlands mit der Berliner Plattform, in zehn Tagen kommt schon Brandenburg dazu. Wir werden jede Woche für jede Region ein neues Videoporträt und täglich Artikel veröffentlichen.

Wie ihr vielleicht schon mitbekommen habt: Weder haben wir den Anspruch, eine allumfassende Definition von ökosozialem Wandel zu liefern, noch meinen wir, die Lösungen für alle Probleme der Welt zu kennen. Wir beenden jedes Interview unserer Videoporträts mit der Frage: "Was ist Wandel für dich?" So wollen wir mit der Zeit eine Collage aus vielen Antworten aufbauen, eine gemeinsame Vision von den unterschiedlichen Meinungen der Menschen, die schon aktiv für einen ökosozialen Wandel sind. Viele Stimmen mit unterschiedlichen Tonalitäten und Lautstärken, die sich wie in einem Chor harmonisch ergänzen.

Was wir aber sicher sagen können: Wandel ist ein Prozess, ein Weg, um fort zu schreiten, möglicherweise gemeinsam. Das gilt auch für uns, als einzelne Personen, als Arbeitsgruppe und als Projekt. Unsere Plattform ist sicher nicht perfekt, so wie unsere ersten Videoporträts und unsere Artikel. Wir möchten mit euch gemeinsam wachsen und uns dank eures Feedbacks, eurer Kritik, verbessern, mit der Hoffnung, dass unsere Projekte mit der Zeit zu euren werden. So kann unser Modell, unsere Vision, im alltäglichen Leben eine Wirkung entfalten. Wir sind alle im Wandel.

1 Kommentare KOMMENTIEREN
Raimar Ocken hat einen Kommentar geschrieben
Eine Vereinfachung der Sprache wäre gesamtgesellschaftlich gesehen sinnvoll. Wer versteht Narrativ, Resilienz, Paradigma, Konvergenz, fluider Zusammenhang, meinen Erasmus, Tonalitäten ...? Wir brauchen ja keinen akademischen Wandel, der eine umfassende Alternative wäre, sondern letztlich ein ganz neues System, ein ganzheitliches, das wir nicht mit fragmentierten Wissenschaften erzielen können,
meint Raimar -
www.wohlbefinden-in-berlin.de
09:41 16/11/2018
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