Kalabrien, ganz im Süden Italiens, ist eine der ärmsten Regionen Italiens. Viele Dörfer leiden hier an der Abwanderung der einheimischen Bevölkerung - so sind seit den 1950er Jahren viele Bewohner und Bewohnerinnen auf der Suche nach Arbeit, unter anderem nach Deutschland, ausgewandert. In diese vom Aussterben bedrohte Dörfer kamen nun Geflüchtete. Eines der Dörfer, Riace, sorgte mit seinem Versuch, der Abwanderung durch die Aufnahme von Geflüchteten entgegenzuwirken, für weltweite Aufmerksamkeit. Die Bevölkerung reagierte mit großer Hilfsbereitschaft und es entstanden zahlreiche Flüchtlings- und Integrationsprojekte. Riace und weitere Dörfer blühten wieder auf und für manch einen konnte ein kleines Einkommen gesichert werden. Da jedoch die finanzielle Förderung der Geflüchteten durch den italienischen Staat sowohl bei Anerkennung, als auch Ablehnung des Asylantrags, endet und es weder Sozialhilfe, noch Arbeitsplätze gibt, ziehen die meisten nach einer Weile weiter Richtung Norden. Neue Geflüchtete kommen jedoch immer wieder nach.
Vor diesem Hintergrund versucht Elisabeth Voß, Betriebswirtin und Publizistin, mit ihren Bildern einen Einblick zu geben in das weite Feld zwischen Hoffnung und Vergeblichkeit. Sie hat Riace und andere Dörfer im Rahmen der Bildungsreise besucht. Auch während der Wandelwoche 2016 wurde schon über erste Erfahrungen und Eindrücke berichtet.
Wir stellten Elisabeth Voß zu ihrem aktuellen Projekt ein paar Fragen:
BIW: Was hat dich zu der Reise bewegt?
E.V.: Ich wollte schon lange nach Riace fahren. Der Ort ist ja recht bekannt dafür, dass geflüchtete Menschen dort seit vielen Jahren freundlich aufgenommen werden. Und dann habe ich im letzten Jahr die Gelegenheit genutzt, und an einer Bildungsreise der "Rosa Luxemburg Stiftung", in Kooperation mit dem Verein „Courage gegen Fremdenhass“ teilgenommen. Anschließend bin ich noch geblieben und habe mich weiter umgesehen und mit Leuten vor Ort gesprochen.
BIW: Wie ist die Situation vor Ort?
E.V.: Riace und auch andere Dörfer in Kalabrien sind davon geprägt, dass viele Einheimische wegziehen, und auf der Suche nach Arbeitsplätzen in den Norden gehen. Schon Ende der 1990er Jahre begann Badolato, Flüchtlinge aufzunehmen. Riace übernahm das Modell, Projekte aufzubauen, in denen Einheimische und Zugereiste gemeinsam arbeiten, und wurde damit berühmt. Der Bürgermeister Domenico Lucano bekam dieses Jahr im Februar den Dresdner Friedenspreis dafür verliehen. Auch in Camini und anderen Orten werden solche Projekte durchgeführt.
Allerdings funktioniert das nur, so lange die Regierung dafür bezahlt. Das ist eine Überbrückungsfinanzierung, bis die Asylanträge bearbeitet sind. Wenn kein Geld mehr fließt, ziehen die Refugees weiter, auf der Suche nach Arbeit. Aber es kommen immer neue nach, so dass die Dörfer dadurch belebt werden.
BIW: Wie werden die Geflüchteten von der einheimischen Bevölkerung empfangen/aufgenommen?
E.V.: Grundsätzlich sehr positiv. Ich denke, es spielt eine große Rolle, dass ganz klare Signale von oben kommen, dass also der Bürgermeister von Riace eine Position bezieht und sich für die Flüchtlinge einsetzt. Das wird auch im Stadtbild sehr deutlich - auch in einigen anderen Orten. Da gibt es Tafeln, Wandbilder, oder in Riace zum Beispiel diese Schiffe mit den Namen der Herkunftsländer der Geflüchteten. Aber nicht alle freuen sich über die Flüchtlinge, es gibt mitunter auch ablehnende oder rassistische Reaktionen, allerdings nicht diese Gewalt und die Übergriffe, wie wir das hier in Deutschland kennen.
BIW: Was willst du mit der Ausstellung/den Bildern erreichen?
E.V.: Zuerst mal habe ich einfach Freude daran, meine Eindrücke mit anderen zu teilen, zu erzählen, Reflektionen und Fragen zu diskutieren, zum Beispiel: Wie gehe ich eigentlich dort hin, mit welcher Haltung, in welcher Rolle, wie trete ich auf und was kann ich bewirken? Ich möchte das, was mich dort beeindruckt hat - die freundliche Aufnahme und die klaren antirassistischen Positionierungen - hier bekannter machen. Gleichzeitig möchte ich aber auch dazu anregen, genauer und auch kritisch hinzuschauen, nicht nur das "Modell Riace" zu bejubeln - als Lösung oder Rezept, ganz einfach nachzumachen etc., wie es leider auch mitunter zu lesen ist. Ich finde, das wird den Mühen der Menschen dort nicht gerecht. Die Verhältnisse sind schwierig, es können auch nur wenige an den Projekten teilnehmen, viel zu viele Geflüchtete müssen in Massenunterkünften leben, die oft von der Mafia betrieben werden.
Nach 2 Wochen in Kalabrien und einigen Recherchen maße ich mir nicht an, wirklich fundiert Bescheid zu wissen. Aber das, was ich weiß, und was ich beobachtet habe, das möchte ich anderen mitteilen. Fotos geben ja weniger Fakten, sondern eher Stimmungen und emotionale Eindrücke wieder. Da steckt für mich so viel drin, auch Ambivalentes, zum Beispiel die Frage, wie weit es ein gleichberechtigtes Zusammenleben zwischen Einheimischen und Zugereisten geben kann, angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen und Notwendigkeiten. Da sind ja Hierarchisierungen angelegt. Gleichzeitig sind die Flüchtlinge auch ein Wirtschaftsfaktor, und Ausbeutung gibt es dort ebenfalls. Das ist also sehr vielschichtig, und ich habe versucht, ein paar Eindrücke davon einzufangen.
BIW: Hast du weitere Projekte zu diesem Thema in der Zukunft geplant?
E.V.: Noch nicht konkret geplant, aber sicher mache ich mal wieder eine Ausstellung im Regenbogen-Café. Die letzte hatte ich über meine Indien-Reise, und davor habe ich Naturfotos gezeigt. Davon habe ich noch viele, mal sehen ...
Aber eigentlich hast Du ja zu diesem Thema gefragt. Da bleibe ich auf jeden Fall dran, möchte noch viel mehr ausformulieren, was ich bisher nur auf Notizzetteln festgehalten habe. Und ich möchte auch mal wieder hinfahren, um noch mehr herauszufinden. Ich lasse mich auch gerne einladen, um zu erzählen und dazu Fotos zu zeigen.
Im Moment bereiten wir ja - ganz andere Baustelle - die zweite SoliOli-Kampagne zum solidarischen Import von Olivenprodukten von griechischen Kooperativen vor. Vielleicht ließe sich das eines Tages um kalabrische Produkte erweitern. Dass Leute dort wegziehen, ist ja eine problematische Situation, und tragfähige regionalökonomische Strukturen sind dringend nötig. Da ist noch viel zu tun, und eine Soli-Import-Kampagne wäre nur ein kleiner Baustein einer viel größeren Strukturentwicklung.
Mich beschäftigt auch die Frage, ob solche Projekte in aussterbenden Regionen in Deutschland ebenfalls möglich wären. Ich fände es richtig schlimm, wenn MigrantInnen benutzt würden, um Dörfer zu retten. Aber ob das Glück der Menschheit wirklich in den Städten liegt? Ich kann mir vorstellen, dass Menschen welcher Herkunft auch immer aufs Land gehen, um sich dort gemeinsam und selbstbestimmt Existenzgrundlagen zu schaffen. Dort wo Platz ist, wo mensch sich entfalten kann, künstlerisch-kreativ, vielleicht mit experimentellem Wohnungsbau und in Richtung Ernährungssouveränität. Und nicht zuletzt auch, um ländliche Gegenden nicht den Rechten zu überlassen, sondern solidarische Regionen zu entwickeln.
Den Auftakt zur Fotoausstellung bildet diesen Freitag, den 24. März um 19 Uhr die Vernissage im Café der Regenbogenfabrik in der Lausitzer Straße 22 in Kreuzberg. Die Ausstellung wird dort noch bis zum 18. Mai zu sehen sein. Öffnungszeiten sind montags 13-19 Uhr und an sonstigen Tagen 10-19 Uhr.
Titelbild
Urheber: Elisabeth Voß