REGISTRIEREN

Wohnraum gesucht: erschwinglich, inklusiv, gemeinwohlorientiert, nachhaltig

Vom 11. bis 14. Mai finden die diesjährigen Experimentdays in Berlin statt. Diskussionsrunden und WohnProjekteBörse stehen im Zeichen von alternativen, inklusiven Wohnprojekten mit Gemeinwohlorientierung in Zeiten eines äußerst angespannten Wohnungsmarkts. Dr. Michael LaFond vom Initiator id22 hat uns die Hintergründe der Veranstaltung erläutert.

von David Dicke
Themen Öffentlicher Raum Ökologisches Bauen Coworking Gesellschaft Lebensstil Wohnen Wohnprojekte Nachbarschaft
11 Mai 2017

Alternative Arten des Zusammenlebens, fernab von Reihenhäusern, anonymen Mietskasernen oder Plattenbau-Rationalismus hat es in Berlin schon lange gegeben. Letztlich kann man die Berliner Verbundenheit zu experimentellen und sozialen Wohnformen bis in die Gründerzeit zurückverfolgen, als sich die Vorreiter der Moderne aufmachten neue Siedlungen zu entwerfen und Wohnungsbaugenossenschaften zu etablieren. Historische Berliner Siedlungsprojekte der Zwischenkriegszeit von Bruno Taut, wie die Hufeisensiedlung, oder Hans Scharoun, wie die Siemensstadt gelten seit 2008 als UNESCO-Weltkulturerbe; nicht nur aufgrund der architektonischen Gestalt, sondern auch, weil sie damals neue, soziale und humane Formen des Wohnens und Zusammenlebens ermöglichten. Sie waren die Antwort auf Wohnungsnot durch Kriegszerstörung und schlechte Wohnverhältnisse, vor allem in der Berliner Arbeiterschaft, als diese noch zu Dutzenden in den Wohnungen schlecht belichteter und durchlüfteter Gründerzeithäuser, ohne sanitäre Einrichtungen hausten, die heute als luxuriös sanierte Eigentumswohnungen von Akademikerpaaren gekauft werden.

Wichtige Impulse für alternative Wohnformen gingen von der Studentenbewegung und ihren Nachwirkungen, sowie der Hausbesetzer-Szene Westberlins aus, die sich auch durch den Sonderstatus der eingemauerten Exklave der BRD entwickeln konnte. Nach der Wende wurde dann der Ostteil der Stadt zum neuen Eldorado für kulturelle Experimente und soziale Freiräume, aber auch für Spekulanten und global operierende Investoren.

Berlin war ein Spielplatz für Selbstorganisierte

Als Anfang der 00er Jahre der Begriff Nachhaltigkeit an Bedeutung im öffentlichen Diskurs gewann, begann Michael LaFond regionale Vernetzungstreffen zu diesem Thema zu organisieren. Um die Thematik zu spezifizieren und greifbarer zu machen wurde dann 2003, noch unter dem Namen Experiment City, das erste Event zur nachhaltigen Nutzung von Berliner Freiräumen veranstaltet. Damals hätten selbstorganisierte Kulturprojekte, Gartenprojekte und vor allem Wohnprojekte aus Ost und West im Sinne einer 'Stadt von unten' im Fokus gestanden, erläutert Michael LaFond: „Berlin war ein Spielplatz für die Selbstorganisierten, für die Besetzerszene und so weiter!“ Seit diesen noch recht wilden Jugendjahren der wiedervereinigten Stadt hat sich einiges verändert. Boden und Grundstücke werden immer knapper und damit teurer.
Es gehe nicht mehr so wie früher, man sei politischer geworden und gezwungen, über Kooperationen, Immobilien- und Mietenpolitik nachzudenken, stellt Michael LaFond fest.

Eine neue Aufgeschlossenheit

Man könnte vermuten, das mit der zunehmenden Wohnungsnot und dem Druck auf der Nachfrageseite auch das Interesse an alternativen Wohnformen rasant zunimmt, aber bei selbstorganisierten Wohnformen stehe immer der Lebensstil, die Suche nach Gemeinschaft oder das kooperative Leben und Arbeiten im Vordergrund, hat Michael LaFond beobachtet. Der ökonomische Gewinn durch das Teilen von Gemeinschaftsräumen stehe nur an zweiter Stelle. Zwar wachse die Nachfrage nach selbstorganisierten Wohnprojekten, aber das Angebot könne wegen der großen Konkurrenz um freie Grundstücke nicht Schritt halten.
Auch wenn die Senatsverwaltung der Stadt vor einigen Jahren auf das Projekt Experimentdays aufmerksam geworden ist und seitdem die Veranstaltung fördert und teilweise auch inhaltliche Beiträge leistet, spüre man erst seit dem letzten Regierungswechsel in Berlin eine neue Aufgeschlossenheit für die Thematik und baue deshalb auf die, von der linken Senatorin Katrin Lompscher geführte, Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen.
Von den laufenden Gesprächen erhofft sich Michael LaFond, dass die Senatsverwaltung beschließt keine Grundstücke mehr zu privatisieren, sondern nur noch im Erbbaurecht an Initiativen, die bezahlbare Wohn- und Kulturprojekte organisieren, zu verpachten. 30% von neu zu entwickelnden Stadtquartieren sollten an selbstorganisierte, gemeinschaftliche und gemeinwohlorientierte Wohnprojekte vergeben werden. Konkret erhofft er sich, dass die Stadt das Dragoner Areal, über das wir berichtet haben, im Sinne der dort aktiven Initiative „Stadt von unten“ ausschließlich für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum entwickelt.
Dabei kommt es nicht nur auf den guten Willen, sondern auch auf die praktische Umsetzung in der Verwaltung an. Diesbezüglich ist Michael LaFond unzufrieden mit dem Vergabeverfahren von Grundstücken der sogenannten Schöneberger Linse, zwischen Südkreuz und S-Bahnhof Schöneberg. Drei Initiativen, die sich zur Zeit um die Vergabe von dortigen Grundstücken bewerben, können aus dem Nähkästchen plaudern, wenn sie sich, neben vielen anderen Projekten - von Ökodörfern, über Geflüchteten-Initiativen bis zu Haus- und Hofprojekten - bei der WohnProjekteBörse, am Samstag in der Friedrich-Ebert-Stiftung, vorstellen.

Hochkarätige Gäste in den Diskussionsrunden

Persönliche Highlights der Veranstaltungstage sind für id22 und Michael LaFond vor allem die Diskussionsrunden, am heutigen Eröffnungsabend unter anderem mit dem Berliner Staatssekretär für Stadtentwicklung und Wohnen, Sebastian Scheel, dem für Wohnprojekte aufgeschlossene Berliner Finanzsenator Dr. Matthias Kollatz-Ahnen und dem Bundestagsabgeordneten Klaus Mindrup. Am Samstag werden Info-Runden im Rahmen der WohnProjekteBörse weitere hochkarätige Debatten ermöglicht; dann auch mit der Berliner Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Katrin Lompscher persönlich.

Die stadtpolitische Debatte Nummer 1 um den Berliner Wohnungnotstand bekommt also bei den Experimentdays neue Impulse durch kritische Fragen und kreative Antworten. Das Interesse an Besichtigungen am Freitag und Workshops am Sonntag war so groß, dass diese Veranstaltungen schon ausgebucht sind, doch für die Veranstaltung heute und am Samstag kann man sich noch anmelden. Auch wir werden vor Ort sein und berichten.

Titelbild
Urheber: michael (Experimentdays)

0 Kommentare KOMMENTIEREN
Diese Webseite verwendet Cookies, um Dir ein angenehmeres Surfen zu ermöglichen. Mehr erfahren OK